Wie die Kirmes nach Wehlheiden kam
In einem Dorf, das es bereits seit etwa 1143 Jahren gibt, finden ständig Veränderungen statt. So wandelbar wie die Zeiten selbst zeigt sich auch die große Wehlheider Kirmes. Seit über 75 Jahren ist sie ein Ausdruck des gemeinschaftlichen Miteinanders, des Feierns und des Traditionsbewusstseins. Menschen kamen und gingen, Bräuche wurden neu entdeckt oder weiterentwickelt, und auch die Orte, an denen wir gemeinsam gelacht, getanzt und gefeiert haben, veränderten sich. Doch eines blieb immer erhalten: die Seele der Kirmes. Getreu dem Motto „Sülze – Stadthalle – Stockplatz“ möchten wir in dieser Festschrift erklären, wie die Kirmes nach Wehlheiden kam.
Die Anfänge
Das erste dokumentierte Fest in Wehlheiden datiert auf das Jahr 1888. Auch wenn der Anlass dieses frühen Festes heute nicht mehr bekannt ist, zeugt es doch davon, dass schon damals Lebensfreude, Zusammenhalt und festliche Stimmung das Dorf beseelten. Weltkriege, Wirtschaftskrisen und die Gleichschaltung unter den Nationalsozialisten führten dazu, dass die Kirchweihfeste über lange Zeit aus dem Wehlheider Dorfleben verschwanden. Erst mit der Wiedergründung der Turngemeinde Wehlheiden im Jahr 1949 besann man sich auf die alte Tradition. Mit der Gründung der evangelischen Kirchengemeinde Wehlheiden im Jahr 1889 gewann das Feiern an Struktur. Bis 1912 wurden regelmäßig Kirchweihfeste veranstaltet – mutmaßlich rund um die damals noch junge Adventskirche in der Germaniastraße. Die Bewohner Wehlheidens strömten aus allen Ecken zusammen, um zwischen Erntedank, Gottesdienst und Tanz das Leben zu feiern. Doch dunkle Zeiten zogen auf: Zwei Weltkriege, wirtschaftliche Notjahre und die Gleichschaltung unter dem NS-Regime ließen das kulturelle Leben weitgehend erlöschen. Die Kirchweihfeste verschwanden – scheinbar für immer – aus dem Dorfleben. Doch mit dem Wiederaufbau kam auch der Wunsch zurück, alte Traditionen neu zu beleben.
Die Turngemeinde Wehlheiden belebt die Kirmes neu
Im Jahr 1949 – kaum vier Jahre nach Kriegsende – wagte die Turngemeinde Wehlheiden den mutigen Schritt, die Kirmes wieder aufleben zu lassen. In einer Zeit, in der Deutschland noch in Trümmern lag, bedeutete das Fest nicht nur Unterhaltung, sondern Hoffnung, Aufbruch und Heimat. Zunächst wurde im Vereinsheim des Kleingartenvereins Schönfeld gefeiert – bescheiden, aber mit großer Freude. Doch bereits nach zwei Jahren zeigte sich: Der Ort war zu klein. So zog man weiter – auf den Graß bzw. die Sülze, in nächster Nähe zu der Justizvollzugsanstalt.
Kneipen- und Saalkirmes
In den 1950er Jahren verlagerte sich das Geschehen zunehmend in die Wehlheider Gaststätten. In verrauchten Wirtsstuben wurde getanzt, gelacht und musiziert. Die Stimmung war ausgelassen, die Nächte lang, die Gemeinschaft spürbar. Die zentralen gesellschaftlichen Veranstaltungen im Rahmen der Kirmes fanden jedoch im Festsaal der Kasseler Stadthalle statt. Trotz logistischer Herausforderungen – die Stadthalle liegt etwa 1,5 km vom alten Wehlheider Ortskern entfernt – wurde dort immerhin viermal Kirmes gefeiert. Ein besonderes Highlight war der große Festzug, der vom alten Ortskern zur Stadthalle führte.
Wieder auf der Sülze
Noch bevor die Stadthalle zur Hauptbühne wurde, hatte die Sülze als Austragungsort gedient – ein Ort mit Geschichte. 1959 kehrte die Kirmes dorthin zurück. Diese Rückkehr bedeutete mehr als nur einen Ortswechsel – sie war eine Rückbesinnung auf die Wurzeln. Zwei Windmühlen prägten das Bild dieses besonderen Ortes in der Vergangenheit. Die eine, im Besitz des umstrittenen „Holländers“ Thorbecke, sorgte für Gesprächsstoff. Die andere – liebevoll „Pempelei“ genannt – war tief im kollektiven Gedächtnis Wehlheidens verwurzelt. Hier wurde über Jahrzehnte hinweg Getreide gemahlen, später sogar Kasslerbraun für die Farbenfabrik produziert. Die Wehlheider hatten eine Beziehung zu diesem Ort – er war Teil ihres Lebens, ihrer Arbeit, ihrer Geschichten. Zudem wurde die nahegelegene Wilhelm- Buchenau-Kampfbahn ab 1958 auch die Heimat der ausrichtenden Turngemeinde Wehlheiden.

Die Kirmes im Herzen Wehlheidens
Erst im Jahr 1966 zog die Wehlheider Kirmes als Zeltkirmes auf den „Stockplatz“ – und damit ins Herz von Wehlheiden. Bis heute befindet sich dort das Zentrum der Kirmes im alten Ortskern. 1998 folgte ein bedeutender Schritt: Die Turngemeinde entschied sich bewusst gegen ein Festzelt. Das Fest öffnete sich – im wahrsten Sinne des Wortes – dem Viertel. Der Charakter der Kirmes wurde urbaner, offener, vielfältiger. Doch auch Rückschläge blieben nicht aus. Im Jahr 2014 wurde der Stockplatz wegen vermuteter Fliegerbomben gesperrt. Die Kirmes verlagerte sich zunehmend auf die umliegenden Straßen Wehlheidens. Vier Jahre lang konnte der zentrale Platz nicht genutzt werden. Erst 2019 wurde er wieder freigegeben. Da der Platz nach der Bombensuche jedoch nicht verdichtet wurde, können bis heute keine großen Fahrgeschäfte mehr dort aufgebaut werden. So wie es in den vergangenen Jahren immer wieder Veränderungen gegeben hat, wird es auch im Jahr 2025 Veränderungen geben – und ebenso in der Zukunft. Ob gewollt oder erzwungen, eines bleibt in all den Jahren gleich:
„Wehlheider Jungen, viel besungen, sind und bleiben Wagenrungen!“